Mit Lorbeeren und Superlativen wird nicht gespart, wenn von Sally Rooneys Roman „Gespräche mit Freunden“ die Rede ist. Rooney sei nicht weniger als eine „Stimme ihrer Generation“, hat etwa SPIEGEL ONLINE geurteilt und der Autorin dazu noch „geniale Vagheit“ bescheinigt. Zadie Smith wird auf dem Buchrücken zitiert mit: „Unglaublich, dass dies ein Debüt sein soll.“ Auf einer Banderole heißt es überdies: „Die Themen der Zeit in einem hinreißenden, verführerischen Roman.“ In Großbuchstaben, versteht sich.
Nach der Lektüre darf man sich dann aber schon mal fragen: Woher kommen denn bitteschön die Aufregung und die Begeisterung?
Die Geschichte, die in der deutschen Übersetzung über immerhin fast vierhundert Seiten ausgebreitet wird, ist erschreckend schnell zusammengefasst. Die Erzählerin Frances und ihre Ex- sowie beste Freundin Bobbi sind Anfang 20, studieren und treten nebenbei regelmäßig als Spoken Word-Duo auf. Frances schreibt dafür die Texte, Bobbi sorgt mit ihrer Schönheit und ihrer Bühnenpräsenz für die Wirkung beim Publikum. Eines Tages lernen sie Melissa kennen, 37, Autorin und Fotografin. Verheiratet ist Melissa mit Nick, ein paar Jahre jünger als sie selbst, Schauspieler, ausgestattet mit einem überirdisch hübschen Gesicht und einem „beeindruckenden Oberkörper“. Melissa macht Fotos von Frances und Bobbi und nimmt die Beiden in ihren Zirkel von intellektuellen und kulturschaffenden Freunden auf. Zwischen Melissa und Bobbi entspinnt sich eine Freundschaft, deren wahres Ausmaß für Frances nie ganz sichtbar wird und die ihr deshalb nicht geheuer ist. Gleichzeitig sucht und findet Frances die Nähe zu Nick. Nach nicht ganz hundert Seiten landen die beiden zum ersten Mal zusammen im Bett. Bei dem einen Mal bleibt es nicht. Der Rest des Romans handelt von den Fragen: Wird Melissa es herausfinden? Wie reagiert sie, wenn sie es herausfindet? Wird Nick Melissa für Frances verlassen?
So konventionell das klingt, so konventionell und geradezu altbacken ist es am Ende auch.
Daran ändern auch ein paar formale Einsprengsel wie Chat-Protokolle und Mailtexte nichts, die dem Ganzen wohl einen Anstrich von Aktualität geben sollen, wenn sie schon literarisch nichts bewirken. Es ist nicht so, dass Sally Rooney schlecht schreiben würde. Sie schreibt wirklich gut. Ihre Prosa ist klar, nüchtern und auf den Punkt. Mit Bildern spart sie, was aber nicht verwundert, weil sie ihr gerne schief geraten.
So gefällig und eingängig Rooneys Schreibe auch sein mag, so wenig packend sind ihr Geschichte und Figuren geraten. Seite für Seite habe ich darauf gewartet, dass sie nun losgeht, die literarische Sensation. Stattdessen durfte ich ein paar Figuren beim Herumeiern zusehen. Figuren überdies, die so grob geschnitzt sind, dass so etwas wie Plastizität oder gar Empathie und Sympathie erst gar nicht entstehen können.
Das Schlimme ist: Zu Beginn bekommt man den Eindruck, dass dieses Buch eine Geschichte erzählen könnte, die vielleicht wirklich etwas aussagt über die Generation der jetzt jungen Erwachsenen. Ob man sie nun Millennials nennt, Gen Y oder von mir aus ganz anders. Die erste Begegnung mit Frances und Bobbi ist durchaus spannend. Die beiden sind furchtbar schnöselig und halten sich — ohne es zu merken — so vollständig für das Zentrum des Universums, dass alles, inklusive aller Wissenschaften, aus dem einzigen Grund zu existieren scheint, von ihnen erobert zu werden und sie gleichzeitig in ein besseres Licht zu rücken. Die Arroganz der beiden, ihr Kokettieren mit radikalen Ansichten, könnte Sprengstoff sein, wenn Sally Rooney sie auf die allgemeine Gesellschaft und ihre Strukturen loslassen würde.
Stattdessen lässt sie ihre Protagonistinnen in einen Pool aus Salon-Intellektuellen eintauchen, Rotwein schlürfen und kleinkarierte Beziehungs- und Eifersuchtsspielchen spielen.
Überhaupt gleitet „Gespräche mit Freunden“ schon nach wenigen Kapiteln in Befindlichkeitsprosa ab, die ständig die Besonderheit der Figuren behauptet, sie aber niemals vor Augen führt. Bobbi wird mehrfach als brillante Intellektuelle bezeichnet, die ihre Gesprächspartner in Diskussionen spielend in Grund und Boden argumentiert. Doch leider dürfen wir sie dabei nicht belauschen und bekommen nur ein paar Satzfetzen präsentiert, die vollgestopft mit Fremdwörtern sind und dadurch nicht klug wirken, sondern einfach nur prätentiös.
Die Interaktionen in diesem Beziehungsgeflecht gipfeln schließlich darin, dass alle mit allen sauer sind. Melissa mit Frances, weil Besitzansprüche halt auch in offenen Beziehungen zu Konkurrenzverhalten führen. Bobbi mit Frances, weil diese eine Geschichte schreibt, deren Hauptfigur zweifelsfrei an Bobbi angelehnt ist. Frances mit allen, weil niemand sie versteht. Ach ja, und bei alledem dürfen auch noch ein daueralkoholisierter Vater und eine ominöse Krankheit mitspielen – beides aber so oberflächlich, dass man kaum von Handlungssträngen sprechen möchte.
Am Ende war ich so gelangweilt, dass ich mich an den unfreiwillig komischen Momenten festhielt, die den Roman manchmal ins Seifenopernhafte abgleiten lassen. Etwa als Nick Frances schildert, wie er ihr Verhältnis zu Anfang sah, als sie sich kaum kannten und das Verhältnis kaum als solches bezeichnet werden konnte. Und Frances sagt: „Ich wusste nicht, dass es dir so ging.“
Und ich dachte: Nun hat Frances also die Lektion gelernt, dass man nicht in Menschen hineinschauen kann, die man nicht kennt. Ich danke diesem Roman, dass er mich an dieser wertvollen Erkenntnis teilhaben lässt.
Und wo bleiben am Ende die versprochenen „Themen der Zeit“? Vielleicht hier: Der bereits kurz erwähnte daueralkoholisierte Vater versäumt, seiner Tochter den Unterhalt zu überweisen. Die Tochter merkt, dass der Geldfluss versiegt ist und sie mit ihrer Karte nicht mehr zahlen kann. Hochdramatisch. Nur vergleichbar mit einem Kind, das fassungslos vor einem Wasserhahn sitzt, der kein Wasser mehr ausspuckt.
Frances‘ Reaktion? Sie lässt sich vom reichen Nick Geld geben. Und kommt erst gute hundert Seiten später auf die Idee, dass man als Mensch Anfang 20 ja auch arbeiten gehen könnte, um Geld zu verdienen.
Hoffen wir, dass diese Generation mehr zu bieten hat, als „Gespräche mit Freunden“ vermuten lässt. Ihre Stimme, zumindest diese, ist derweil noch recht dünn.
Sally Rooney: Gespräche mit Freunden
Roman, 384 Seiten
Luchterhand Literaturverlag, 2019
Übersetzung: Zoë Beck
Preis (gebundene Ausgabe): 20,00 Euro
ISBN: 978-3-630-87541-5
Verlagsseite des Buches(Die Abbildung des Buchcovers geschieht mit Einverständnis des Verlags laut dessen Homepage und seinen Bedingungen – Stand: 27.08.2019)