von Tilman Rau
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27. Juli 2022
Manchmal geschehen merkwürdige Dinge auf dem Buchmarkt. Man denke nur an die unsägliche Reihe „Das magische Auge“, an der man zu einer gewissen Zeit schlicht nicht vorbeikam. Das waren diese Bilder, die lediglich aus bunten und völlig sinnlosen Strukturen bestanden. Wenn man sie aber lange genug anstarrte, verwandelten sie sich in räumliche Darstellungen von Schiffen, Pokalen, Planeten und Nilpferden. Diese Drei Deh -Objekte waren zwar genauso sinnlos wie die Muster, in denen sie sich versteckten, aber immerhin konnte man „Ich seh’s“ schreien, wenn man sie vor Augen hatte. Mindestens genauso verrückt und sinnlos war eine Büchermode, die Anfang bis Mitte der 80er Jahre ihren Höheunkt erreichte: Das Buch zum Film . Wohlgemerkt ZUM Film . Also nicht eine Romanvorlage wie Buddenbrooks oder Alice im Wunderland . Sondern ein Buch, das die Handlung des Filmes noch einmal nacherzählt. Ein ganzes Heer von erfolglosen Autoren muss damals damit beschäftigt gewesen sein, 90-Minuten-Filme in zweihundertseitige Pseudo-Romane zu verwandeln. Wenn es eine Sache gibt, die für einen Autor noch unbefriedigender sein muss als ein Roman, den niemand liest, dann ist es sicherlich ein Roman, dessen Geschichte alle Leser schon kennen. Denn ein Buch zum Film liest man, wenn man den Film gesehen und gemocht hat, nicht statt sich den Film anzusehen. Ich bin mit diesen Büchern aufgewachsen, hatte E.T. der Ausserirdische und seine Abenteur auf der Erde von William Kotzwinkle ebenso im Regal stehen wie Der City Hai von Walter Wager. Noch heute überkommt mich ein Gefühl irgendwo zwischen Scham und wohligem Kribbeln, wenn ich an diese Filmroman-Bändchen denke, die gerne bei Heyne oder Bastei Lübbe erschienen und als kleinen Bonus neben dem reinen Text auch einige Seiten mit Fotos aus dem Film enthielten. Es ist nicht so, dass ich sofort an diese dünnen Taschenbücher dachte, als ich in einem Buchladen zum ersten Mal eine Ausgabe von Es war einmal in Hollywood von Quentin Tarantino liegen sah. Dazu gab es zu viele Unterscheidungsmerkmale: - Der Name des Autors ist identisch mit dem Namen des Regisseurs. - Es handelt(e) sich um ein gebundenes Buch. Und am wichtigsten: - Es kostete 25 Euro, was in der Sprache der 80er Jahre so viel heißt wie: 50 Mark! Bei einem so teuren und überdies schön gestalteten Buch sollte man doch davon ausgehen, mehr Inhalt vorzufinden als nur eine bloße Nacherzählung eines Filmes, und mag es auch ein so guter sein wie der (zumindest im Original) namensgleiche Tarantino-Streifen aus dem Jahr 2019, der bei zehn Nominierungen auch mehr als die letztlich zwei ergatterten Oscars verdient gehabt hätte. Aber! Und jetzt kommt das Aber! Auf dem Rücken des Romans sind neben der üblichen albernen Marketing-Lobhudelei („Der erste Roman von einem der begnadetsten Geschichtenerzähler unserer Zeit“) auch ein paar Namen zu lesen: Rick Dalton. Cliff Booth. Sharon Tate. Charles Manson. Und das sind dann eben doch wieder einige der Haupt-Charaktere des Films. Also doch nur ein Papierabklatsch der von der Leinwand bekannten Geschichte? Ich kann’s kurz machen: Nein. Dieses Buch ist mehr. Und anders. Anders gut. Anders sehr gut. Die grundlegende Geschichte ist ähnlich: Wir befinden uns im Hollywood der späten 60er Jahre. Rick Dalton, ein Schauspieler, der seine besten Jahre hinter sich hat, ist auf der Suche nach neuen Engagements und muss sich damit begnügen, den Schurken zu geben, an dem sich – erfolgreichere – Helden abarbeiten können. Rick wird herumkutschiert von seinem Stunt-Double Cliff Booth, einem ehemaligen Kriegshelden, der immer noch gut mit Fäusten und Waffen umgehen kann und einen Schlag bei den Frauen hat, den er auch weidlich ausnutzt. In diesem Hollywood, im weiteren und näheren Umkreis dieser beiden Herren, schwirren noch eine ganze Menge weiterer Gestalten herum: Roman Polanski, Sharon Tate, Candice Bergen, Charles Manson, George Spahn sowie das Hippie-Mädchen Pussycat. Und viele mehr. In diesem Universum von Charakteren dreht immer irgendjemand einen Film mit irgendjemandem, hat schon mal einen Film mit irgendjemandem gedreht oder wird dies noch tun. Jemand hat Sex mit jemandem, hatte mal Sex oder wird mal Sex haben. Irgendjemand will immer berühmt werden oder wollte es mal, jemand braucht Geld oder hat viel davon. Jemand trinkt einen über den Durst und jemand prügelt sich. In diesem Universum lässt Tarantino seine Protagonisten herumspazieren und plaudert, wenn er nicht gerade an so etwas wie einer Handlung strickt, über dieses unüberschaubare Netz aus Querverbindungen. Der Roman besteht in Teilen aus seitenlangen Beschreibungen und Aufzählungen, wer mit wem wann welchen Film gedreht hat. Das kommt einem manchmal so vor wie diejenigen Teile der Bibel, in denen es um die Genealogie des Volkes Israel und seiner Geschlechter und Könige geht. In dem Moment, in dem man’s liest, ist es auch schon wieder aus dem Gehirn verschwunden. Quentin Tarantino ist sich dessen natürlich bewusst und hat lesbaren Spaß daran, seine Leser mit vielen unbrauchbaren Infos zuzuballern. Der Spaß beruht aber auf Gegenseitigkeit, weil dieses Kuddelmuddel aus Verflechtungen einfach so frech, flapsig und flegelhaft erzählt wird. Außerdem schimmert auch immer noch so etwas wie eine Story durch, die zwar niemals konsequent zu Ende erzählt wird, die aber trotzdem niemals in der Spannung nachlässt. Es sei an dieser Stelle verraten, dass Tarantino seinen ersten Roman nicht in dem blutrünstigen Massaker enden lässt, in das seine Filme meistens nach der Hälfte bis zwei Dritteln münden. Hier muss sich niemand vor Blut fürchten, höchstens Bruce Lee. Er hat ja auch im Film einen kleinen – wenig schmeichelhaften – Auftritt. Wie so einiges aus dem Film wird auch hier die Background-Story, die sich vielleicht besser mit Worten als mit Bildern erklären lässt, ein wenig breiter ausgetreten. Bevor Stuntman Cliff Booth seine Faust in Bruce Lees Gesicht versenkt, darf er Lee, den er im Übrigen eher als Tänzer denn als Kämpfer sieht, eine kleine Verballektion erteilen, indem er ihm erklärt, was er von seiner Schlagkraft hält: „Backe, backe Kuchen im Schnelldurchlauf ist immer noch Backe, backe Kuchen.“ Bei der Lektüre dieses Romans darf herzhaft gelacht werden. Wer auf coole Typen mit losem Mundwerk, zünftige Sprüche und politisch unkorrekte Zoten steht, wird ordentlich was zu kichern haben. Wie gesagt, diese Hollywood-Geschichte, die das Märchenhafte bereits im Namen trägt, endet nicht mit einem Gemetzel. Dafür mit einem ebenso unspektakulären wie locker hingepfiffenen Satz, der sich wie eine Verbeugung vor dem Schlusssatz von der Hörspielversion von Erich Kästners Der 35. Mai liest und der, so viel sei hier versprochen, keine Spoiler-Sprengkraft besitzt: „Und am nächsten Tag auf dem Studiogelände der Twentieth Century Fox, am Set von Lancer, hauten die beiden Schauspieler alle aus den Socken.“